IdeenwerkBW-Schwerpunkt Zukunft des Handels (2): Das Startup Ameria aus Heidelberg will per Gestensteuerung und Großbildschirm Laufkundschaft einfangen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Heidelberg - Unvermittelt klopft die junge Frau an die virtuelle Scheibe. „Hallo – darf ich Sie kurz stören?“, fragt sie. Wer sich nun umdreht, steht ihr in Lebensgröße Auge in Auge gegenüber. „Ich bin Anna. Einfach die Hand heben, dann erzähl’ ich mehr“, sagt sie einladend. Hand hoch heißt es deshalb, weil man per Gestensteuerung auf dem Großbildschirm weiterklicken kann. Wer ein Handsymbol berührungslos auf die richtige Fläche bugsiert, öffnet weitere Fenster. Am Ende landet die Laufkundschaft dann etwa bei der Aufforderung, sich eine App für weitere Informationen herunterladen zu lassen, oder bekommt einen Tipp, welcher Berater hinter dem Schaufenster auf ihn oder sie wartet.

 

Potenziell kann auch live das Bild eines echten Betreuers in einem Callcenter aufscheinen. Die Variante ist gerade in der Entwicklung. Wenn der Bildschirm im Laden selbst aufgestellt wird, können beispielsweise Computerspiele in Lebensgröße inszeniert werden. Mit ausladenden Armbewegungen lassen sich angreifende Lego-Monster bekämpfen oder man kann per Gestensteuerung reaktionsschnell herunterfallende Süßigkeiten in virtuellen Tüten auffangen. In einer Weiterentwicklung sollen Produkte vor einen Scanner am Gerät gehalten werden können: Dann leuchten auf dem Bildschirm Produktinformationen auf.

Virtual Promoter von Ameria soll Läden attraktiver machen

Virtual Promoter heißt die Entwicklung des Heidelberger Unternehmens Ameria, das Innenstädte und Läden mit einer digitalen Attraktion attraktiver machen will. „Die Leute, die davor stehen, interagieren nicht lange mit dem Bildschirm, 30 Sekunden vielleicht“, sagt der Gründer Albrecht Metter. Aber das seien für den Kundenkontakt im Laden die entscheidenden Sekunden: Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Laufkundschaft, die häufig zerstreut auf ihre Smartphones blickt, wird im stationären Handel immer härter.

Der von Metters Firma entwickelte, berührungsfrei zu steuernde Bildschirm soll nun die Brücke schlagen von einer virtuellen Erfahrung zum realen Einkauf. Gefertigt wird er übrigens aus Qualitätsgründen nicht irgendwo in Asien, sondern in der Region Stuttgart. Mehr Aufmerksamkeit bedeute mehr Verkäufe – und das sei sogar konkret messbar, sagt Metter: „Bei einer Versuchsanordnung mit identischen Produkten in derselben Ladenkette sind am Stand mit dem virtuellen Promoter messbar zehn Prozent mehr verkauft worden.“ Die Großbildschirme seien eine Möglichkeit, das Einkaufserlebnis im stationären Handel zu verbessern. Für die Verkäufer sieht er es als eine Entlastung, weil sie sich nicht mehr mit Einstiegsfragen beschäftigen müssten, sondern mehr Zeit für die Beratung hätten. „Die meisten Menschen sind zudem eher introvertiert. Die wollen sich gar nicht von einem Verkäufer ansprechen lassen und den dann vielleicht enttäuschen. Die tun sich viel leichter, erst einmal mit einem Bildschirm zu interagieren“, sagt der Ameria-Gründer.

Anfassen ist nicht nötig – das ist auch hygienischer

Der Bildschirm hat nicht nur den Vorteil der Lebensgröße: „Sie müssen bei uns nichts anfassen. Das ist hygienischer.“ Einen Glasbildschirm berührten die meisten Menschen nämlich nur, wenn sie das beim Fahrkartenkauf oder beim Geldautomaten wirklich müssten. Doch die paar Klicks, die in einer halben Minute gemacht werden können, sind gar nicht der entscheidende Punkt. Der Mega-Bildschirm ist letztlich das Einfallstor, um mit dem Kunden einen ersten Kontakt aufnehmen zu können. Zwar kann der Virtual Promoter automatisch messen, wie viele Menschen sich in welcher Gruppengröße vor dem Großbildschirm aufhalten; aber um in das Online-System des Händlers einzusteigen, muss er an seinem Smartphone erst einen weiteren Schritt machen und sich registrieren lassen.

Hier erst beginnt, was man den Schlüssel zur modernen Kundenbeziehung nennen könnte: die nahtlose Verbindung von Offline-Erfahrung im Laden mit der Online-Welt, für die der Virtual Promoter die Brücke schlagen soll. Metter sieht ihn auch als ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal und Eingangstor für weitere Angebote wie Datenanalysen: Die Technologie hinter dem System vom Bildschirm über die Gestensteuerung sei selbst entwickelt worden und patentiert. „Das kann auch ein Amazon nicht so schnell nachmachen“, sagt er.

Erfolgreiches Crowdfunding

Dank dieses technologischen Türöffners will man auch großen Analysefirmen Paroli bieten können. „Anders können sie als mittelständisches Unternehmen nicht mithalten,“ sagt Metter. Um die Markenbekanntheit zu steigern, hat Ameria auch eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne im Internet absolviert. Nach nur zehn Tagen wurde das Kampagnenziel von 1,4 Millionen Euro erreicht. Damit soll die Internationalisierung vorangetrieben und die Technologie durch weitere Patente abgesichert werden. Zu den derzeit 70 Mitarbeitern sollen weitere Teammitglieder hinzukommen.

Unternehmenssteckbrief Ameria

Ameria bezeichnet sich selbst als einen der „weltweit führenden Anbieter von interaktiven Lösungen für den Konsumenten-Dialog“. Wichtigstes Produkt ist der Virtual Promoter, ein mit Gesten zu steuernder Großbildschirm für Schaufenster und Läden. Zu den Kunden und Partnern gehören unter anderem Microsoft und Lego. Gegründet wurde Ameria im Jahr 2001 von Albrecht Metter während seines Volkswirtschaftsstudiums. Zurzeit arbeiten 70 Mitarbeiter für die Firma, unter anderem auch Entwickler in der Ukraine. Im Gefolge der Krimkrise musste Ameria seine dortige Präsenz aufgeben. Im Jahr 2014/15 erhielt Ameria den baden-württembergischen High-Tech-Preis Cyber One in der Kategorie „Wachstum“.