Die Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) sieht sich beim Gründen aus dem Studium als Vorreiter im Land. HdM Innovation heißt: Jeder Studierende soll damit während der Ausbildung in Berührung kommen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Auf dem weitläufigen Campus des Universitätsgeländes in Stuttgart-Vaihingen fällt die Tür zum Startup-Zentrum „Generator“ der Hochschule der Medien nicht auf. Noch fügen sich Gründer in die traditionelle Infrastruktur einer Hochschule mit ihren Hörsälen und Labors. Doch für Alexander Roos, den Rektor der HdM, ist es durchaus eine offene Frage, ob akademische Ausbildungsstätten in Zukunft noch so aussehen müssen. „Wieso brauchen wir noch Hörsäle wie im 19. Jahrhundert?“, fragt er. Eigentlich habe eine Einrichtung wie eine Hochschule vor allem zwei Funktionen: „Hier sollen sich unterschiedliche Köpfe begegnen und Platz für ungeplante Interaktion sein.“

 

Wo es heute hakt, zeigt er mit einem selbst gemachten Foto: An einer anderen baden-württembergischen Hochschule beobachtete er Architekturstudenten, die sich in eine finstere Ecke in einem schlecht beleuchteten Treppenhaus zurückziehen mussten, um dort auf kahlem Boden Platz für den Bau ihrer Modelle zu finden: „Eine Uni, die viele Millionen Euro für Prüfstände ausgibt, hat keinen Raum für so etwas!“

HdM Innovation heißt unternehmerische Kreativität

Die Suche nach Räumen für Kreativität, das ist nur ein Beispiel für den Geist der Hochschule, die sich schon früher als andere den Themen Innovation und Startups verschrieben hat. „Unsere Vision ist es, dass jeder Student hier einmal mit dem Thema Gründen in Berührung kommt“, sagt Nils Högsdal, Professor für Unternehmensfinanzierung und Unternehmertum – der selbst Unternehmer war und immer noch als Start-up-Investor aktiv ist. Er will das Klischee zerstreuen, als gehe es bei den Ideen an der HdM um „irgendetwas mit Medien“, so wie klischeehaft der Slogan lautet. „Wir spielen sowohl in der Kreativwirtschaft als auch in der IT-Wirtschaft mit“, sagt er. „Unsere Medieninformatiker sind Techniker par excellence und auch der ganze Spielebereich ist absolute Hightech.“ Innovation finde an Schnittstellen statt, sagt er – dort, wo unterschiedliche Wissensbereiche und Menschen zusammenkommen.

Mit ihren 4000 Studenten hat es die Stuttgarter Hochschule beim Einwerben von Fördergeldern im vergangenen Jahr immerhin auf Platz neun geschafft. „Wir waren wohl in Deutschland die Ersten, die ein Start-up direkt aus der Hochschule gemacht haben,“ sagt Högsdal. Als ehemalige Fachhochschule habe man immer einen Praxisbezug gehabt. „Hier sind Professoren auch Unternehmer und wollen etwas bewegen. Wir haben keine Scheu, auch einmal in den Schlamm hineinzugehen.“

Macher-Räume sollen Lust aufs Gestalten machen

Im Geist der HdM Innovation soll es neben Hightech-Labors künftig auch simple, leicht zu buchende, sogenannte Macher-Räume geben: Werkstätten, in denen mit ein bisschen Werkzeug, Kleber und Lötkolben Ideen auch einmal spontan konkrete Gestalt annehmen könnten. „Wir tendieren dazu, im digitalen Zeitalter diesen Aspekt zu vergessen,“ sagt Roos. Das sei kein staatlich subventionierter Bastelraum: „Innovation setzt Kreativität voraus, und das bedeutet auch, dass ich einmal schnell etwas machen kann.“ Das sei etwas anderes, als ein Hightech-Labor unter hohen Sicherheitsanforderungen schon ein Semester im Voraus buchen zu müssen.

Etwa 70 Prozent der rund 150 Gründer oder Gründerteams, die jedes Jahr in das seit 2010 bestehende Startup-Zentrum Generator kommen, sind aus dem Kreativbereich, das sind etwa Webdesigner oder potenzielle Agenturgründer. Doch der Rest hat technologische Themen im Blick und dabei nicht nur den Medien- oder Konsumbereich. „Oft weiß man doch gar nicht, ob man sein Produkt nun an den Endkunden verkauft oder nicht“, sagt Högsdal.

Die deutsche Startup-Förderung privilegiert Technologie

Magdalena Weinle, die am Generator über das Gründerstipendium Exist berät und die Öffentlichkeitsarbeit koordiniert, sieht hier in der staatlichen Förderpolitik aber eine deutliche Schieflage: „Im Technologiebereich können sie eine Förderung bekommen, als Kreativer aber nicht. Das ist eine Schwäche in Deutschland.“ Zurzeit werden acht Teams im Zentrum betreut: Sechs werden mit dem Bundesstipendium Exist gefördert, zwei aus dem sich ebenfalls an Gründer aus der Wissenschaft richtenden Landesprogramm Junge Innovatoren.

Auch Studenten von anderen Hochschulen sind willkommen, sofern die Gründung einen Bezug zur HdM aufweist. Ein Beispiel ist das Startup Virtual Q, das Warteschleifen bei Telefonhotlines effizienter managen will. Die Gründer, die teilweise von anderen Hochschulen kamen, wurden durch ein Startup-Wochenende für die HdM Innovation motiviert, wo spontan zusammengewürfelte Teams binnen 48 Stunden Geschäftsideen entwickeln. Ulf Kühnapfel, Designer bei Virtual Q, weiß die hier vermittelten ganz praktischen Kompetenzen zu schätzen: „Das Rad dreht sich so schnell, da hilft dir kein Businessplan.“ Man brauche Kontakt zu Leuten, die schon einmal gegründet haben. „Wer schon dreimal gegründet hat, versteht mich.“ HdM Innovation heißt auch, die Heimstätte eines solchen Netzwerks sein.

Die Gründungsstatistik ist nicht entscheidend

Doch die Gründungsstatistik sei nicht entscheidend, sagen Högsdal und Roos unisono. Viel wichtiger sei es, das Unternehmertum in den Köpfen zu verankern. Das sei in Deutschland der wahre Engpass. Man müsse erst die Pipeline an Gründern voll bekommen – wenn anschließend die Förderprogramme und Investitionsmöglichkeiten überhaupt greifen sollen. „Wir sind über die Hochschullehre zum Gründerzentrum geworden“, sagt Högsdal. „Wenn wir 300 Studenten für das Thema sensibilisieren, dann müssen nicht 290 davon gründen.“ Auch in etablierten Firmen würden unternehmerisch denkende Menschen immer wichtiger: „Das ist eine Schlüsselkompetenz.“ Die Hochschule will deshalb auch die Weiterbildung von Mitarbeitern aus Unternehmen verstärken.

In Deutschland blicke man oft nur auf die Forschung, sagt Roos. Doch vier von fünf Start-up-Ideen kämen im Hochschulbereich von Studenten. Sie hätten einen frischen Blick auf mögliche Bedürfnisse von Kunden und Nutzern. Deswegen spielt an der HdM etwa die innovative Methode des Design Thinking eine wachsende Rolle. „Bei uns in Deutschland kreist das ganze Denken um Hightech. Probleme ohne Hightech lösen? Kommt nicht infrage“, sagt der HdM-Rektor. Von einer aktuellen Reise nach Südamerika hat er aber die Erfahrung mitgenommen, dass man anderswo auf der Welt die Probleme oft möglichst einfach lösen muss. „Ist es nun wichtiger, ein besseres Auto zu bauen – oder eine bessere Mobilität zu ermöglichen?“, fragt Roos, der dieses problem- und lösungsorientierte Denken seinen Studenten vermitteln will.