Schwerpunkt Gründerland Baden-Württemberg (Schluss): Thomas Villinger, der Geschäftsführer des Risikokapitalgebers Zukunftsfonds Heilbronn, wünscht sich im Land deutlich mehr Bewusstsein dafür, dass das Erfolgsmodell Baden-Württemberg künftig nicht nur einfach fortzuschreiben ist.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Heilbronn - Interview

 

Herr Villinger, in Baden-Württemberg gilt die Devise: Geld hat man, aber man redet nicht darüber. Erklärt dies, warum es hier weniger Risikokapital als in den USA gibt?

Privatinvestoren in Deutschland mögen nicht gerne auf dem Silbertablett präsentiert werden. In den USA ist es völlig normal, dass man die Startups, die man in seinem Portfolio hat, zu einer Gartenparty einlädt. Aber ich bin mir sicher: In fünf bis zehn Jahren werden wir die Namen der Investoren kennen. Dann werden sie gerne bei öffentlichen Veranstaltungen auftreten. Das ist eine Generationsfrage: Die älteren Investoren sind restriktiv, die jüngeren sind offener und amerikanisierter. Die sagen deutlich, dass sie hinter bestimmten Themen stehen. Was wir von den USA, aber übrigens auch von Israel lernen können, ist das Bekenntnis zum Umbruch. Das haben sie in Deutschland am ehesten in Berlin.

Wie investiert Ihr Zukunftsfonds?

Wir sind ein Fonds ohne feste Laufzeit. Wenn wir etwas verkaufen, kommt es in den Fonds zurück und kann dann wieder neu investiert werden. Wir lieben Technologie und Themen, die sich in fünf bis zehn Jahren zu einem Geschäftsmodell entwickeln. Der langfristige Aspekt ist bei uns sehr wichtig. Ein aktuelles Beispiel vor wenigen Tagen war unser Verkauf der Xenios AG, einem Medizintechnikunternehmen für Herz- und Lungenunterstützung. Wir haben das Unternehmen über Jahre aufgebaut und durch den Verkauf an die Fresenius Medical Care AG kommt nun ein absoluter Weltmarktführer nach Heilbronn.

Wo hat aus Sicht des Startup-Investors Baden-Württemberg seine Stärken und Schwächen?

Baden-Württemberg hat unglaubliche Chancen, das deutsche Gründerland zu werden. Es gibt eine Vielzahl von leistungsstarken Unternehmen. Da kann Berlin in keiner Weise mithalten. Aber wir müssen offener werden und zusammenarbeiten. Im Silicon Valley, in Israel, aber auch in Skandinavien spielt man miteinander und nicht gegeneinander. Bei uns ist der Mittelständler bisher gewohnt, seine Technologie zu patentieren und sie dann eifersüchtig zu hüten. Im Digitalbereich ist das anders: Im Silicon Valley arbeiten auch Wettbewerber bei Projekten zusammen, etwa bei der Künstlichen Intelligenz. Oft geschieht das über Ausgründungen, an denen verschiedene Konzerne gemeinsam beteiligt sind. Es geht darum, Plattformen zu etablieren – und dafür muss man kooperieren. Diesen kulturellen Sprung haben wir noch nicht geschafft.

Inzwischen gibt es aber doch immer mehr Risikokapitalgesellschaften von Unternehmen aus dem Land. Ist das der Durchbruch?

Die Großen haben angefangen, andere Firmen ziehen nach. Das ist in der Tat ein Paradigmenwechsel. Die jüngeren Familienmitglieder, die jetzt vielerorts die Unternehmen übernehmen, haben mitbekommen, dass sie bestimmte Technologien nicht selbst entwickeln können, vor allem nicht im notwendigen Tempo. In bestimmten Bereichen wie der Industrie 4.0 haben wir in Baden-Württemberg schon aufgeholt. Es wird auch immer mehr Mittelständler geben, die etwa mit Partnern wie dem Zukunftsfonds Heilbronn zusammenarbeiten wollen.

Villinger: Die Schweizer sind offener

Aber viele der neuen Kapitalgesellschaften sind auf ein einziges Unternehmen bezogen.

Es stimmt, diese Gesellschaften gehen bisher selten Partnerschaften ein. Da sind wir wieder beim Schlüsselproblem: dass man nicht gerne mit anderen zusammen investiert und seine Informationen austauscht.

Aber der Zukunftsfonds Heilbronn selbst ist doch eine geschlossene Gesellschaft?

Man kann zwar nicht direkt in den Zukunftsfonds investieren, aber wir sind offen für Partner. Wenn ein Mittelständler eine bestimmte Technologie gut findet, kann er mit uns zusammen investieren.

Praktizieren Sie das schon?

Ja, aber mit Investoren aus der Schweiz. Die Schweizer sind da sehr offen – gerade im Bereich der Medizintechnik. Sie haben eine gute Spürnase für Technologie. In dem kleinen Land muss man international denken. Wir haben da inzwischen mehr Kooperationserfahrung als mit Kapitalgebern aus Baden-Württemberg.

Wie ist denn die Anziehungskraft Baden-Württembergs für ausländische Investoren?

Baden-Württemberg muss dramatisch etwas für seine Außenwirkung tun. Wir haben eine exzellente Technologiebasis und ein hervorragendes Unternehmernetzwerk, wenn wir das mit anderen Bundesländern vergleichen. Was die persönlichen Beziehungen angeht, sind die mittelständischen Unternehmer schon gut untereinander verwoben – aber nicht als Kapitalnetzwerk. Man kennt sich. Aber bisher sind die Begegnungen eher nett und unverbindlich, etwa mal im Rahmen eines IHK-Empfangs. Es gibt enorm viel Luft nach oben.

„Es reicht halt nicht, sich freundlich zu unterhalten“

Herr Villinger, der Begriff Kooperationsfähigkeit scheint für Sie der Schlüssel zu sein.

Es reicht halt nicht, sich freundlich zu unterhalten. Man muss auch gemeinsam an Projekten arbeiten, an neuen Produkten. In Israel und in den USA ist das selbstverständlich. Es gibt Ausgründungen, bei denen mehrere Wettbewerber beteiligt sind. Das ist bisher in Deutschland undenkbar. Das braucht sicher noch mindestens eine halbe Generation.

In welchen Branchen hat Baden-Württemberg langfristig das größte Potenzial?

Technologie, Maschinenbau, Automobile, Feinwerktechnik sind unsere Trümpfe. Aber beim Nutzen von Daten sind wir noch schwach. Die Firmen werden sich von ihren bisherigen Geschäftsmodellen sicher nicht so schnell verabschieden. Sie müssen sich aber viel mehr öffnen. Wir werden unsere Technologie weiter produzieren und mit einem digitalen Ansatz verbinden. Ein Unternehmer hierzulande gibt nicht auf, was er aufgebaut hat. In den USA ist das anders: Da erfinden sich Firmen radikal neu und stellen sich komplett infrage.

Also man bewahrt den Kern und dockt sich an das Neue an?

Es ist nicht die deutsche Tugend, alles auf den Kopf zu stellen. Das macht uns aber ein Stück weit auch stabiler. Man muss den Amerikanern nicht überall folgen. Deren Stärke ist es, sich permanent infrage zu stellen. So etwas mögen Deutsche nicht.

Ist unser Problem die Selbstzufriedenheit?

Am deutschen Wesen wird die Welt genesen – das steckt noch tief drin. Wir können uns nicht vorstellen, dass es anders sein könnte. Und das ist extrem gefährlich. Die Generation zwischen 35 und 40, die jetzt ins Management vorrückt, die begreift, dass wir aus Deutschland heraus vielleicht einmal die eine oder andere Technologie nicht mehr anbieten können. Das Gefährliche ist, dass das nicht über Nacht passieren wird, sondern schleichend. In den USA oder in der Welt wartet man nicht auf Deutschland. China hat dramatisch aufgeholt, nicht nur über Plagiate, sondern über eigene Technologie. Es fehlt da manchmal die visionäre Kraft, um über ein, zwei Generationen hinwegzuschauen. Wie überlebt unser Unternehmen im Jahr 2030? Wenn die Welt vernetzt ist, aber Baden-Württemberg sich einspinnt, dann haben wir ein Riesenproblem.

„Startups gehören bei jeder Veranstaltung aufs Podium“

Sind wir zu sehr auf Hardware fixiert?

Es geht in der Tat eher um Plattformen und komplette Lösungen, die Hardware ist nur noch ein relativ kleiner Faktor. Aber die „Dinge“ waren das, was uns über die Jahre stark gemacht hat. Wir können uns einfach nicht vorstellen, dass jemand unsere Maschinen vielleicht einmal nicht mehr brauchen könnte.

Wird also unsere Stärke zur Schwäche?

Manche glauben immer noch, dass dieser Technologie-Hokuspokus irgendwann vorbei sein wird. Wir brauchen deshalb in Baden-Württemberg neue Unternehmen mit jungen Technologien, damit wir den Paradigmenwechsel hinbekommen.

Was kann die Landespolitik tun, Herr Villinger?

Steuerpolitik ist sehr stark Bundespolitik. Da sind wir auf einem guten Weg, was etwa die Möglichkeiten eines Verlustvortrags bei Minderheitenbeteiligungen angeht. Das macht man anderswo in Europa schon längst. Das Wichtigste ist aber, dass die Politik das Thema wirklich im Blick hat. Seit drei bis vier Jahren holen wir auf. Das Land könnte aber noch mehr tun. Bayern ist da sensationell. Dort treibt die Landesregierung das Thema seit vielen Jahren systematisch voran. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Bisher verlässt sich die Landesregierung noch sehr auf die Unternehmer.

Aber es gibt doch in Baden-Württemberg jede Menge Beratung, Wettbewerbe und Förderprogramme?

Es haben sich auf diesem Gebiet viele Pfründe über Jahre und Jahrzehnte aufgebaut. Aber den nötigen Effekt hat es nicht gehabt. Auch hier gilt: Man kommuniziert zu wenig. Wir brauchen eine Aufbruchstimmung im ganzen Land. Es geht nicht um Kapital, es geht darum, dass die Landesregierung ein ambitioniertes Ziel vorgibt: Wir wollen die besten Startups fördern. Wir bräuchten einen Staatssekretär, der für Innovation zuständig ist, der aus der Industrie kommt und glaubwürdig kommunizieren kann: Das Thema ist uns wichtig. Startups gehören bei jeder Veranstaltung aufs Podium.

Porträt: Der Zukunftsfonds Heilbronn

Der Zukunftsfonds Heilbronn investiert in junge und Erfolg versprechende Technologiefirmen. Der Fonds will die Firmen von der Erstfinanzierung bis zur Expansionsphase begleiten. Der Fonds wird von drei Unternehmerfamilien aus der Region Heilbronn getragen. Dass die Lidl-Eigentümer dazugehören wird nicht kommuniziert, ist aber ein offenes Geheimnis. Der seit 2005 bestehende Fonds ist zurzeit an rund 15 Firmen beteiligt. Die Investments liegen zwischen 500 000 und zehn Millionen Euro.

Sechs Felder bilden den Schwerpunkt: Automation und Elektronik, Energie und Umwelt, IT und Kommunikation, Biowissenschaften (Life Sciences), Materialwissenschaften und Nanotechnologie. Gerade erst hat man mit dem Heilbronner medizintechnischen Unternehmen Xenios Kasse gemacht, das an Fresenius Medical Care verkauft wurde.

Thomas Villinger kam 2006 als Mitgründer und CEO zum Zukunftsfonds Heilbronn. Davor hatte er als Gründer und Geschäftsführer den Unternehmensaufbau der Innovationsfabrik Heilbronn begleitet, ein Zentrum mit 60 Startup-Firmen – Schwerpunkte Industrie, Elektronik, Kommunikation.

Er hat mehr als zwölf Jahre Erfahrung>im Bereich Risikokapital. Villinger hat in Frankfurt Volkswirtschaftslehre und Geografie studiert. Villinger hat auch einen Master of Business Administration der Schiller International University (USA/Frankreich).